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Zwischen Beruf und Familie
Beruf und Familie zu vereinbaren ist ein Balanceakt, den in der Schweiz noch immer mehrheitlich die Frauen leisten, indem sie auf Karriereschritte verzichten oder in kleinen Pensen arbeiten. Michela Bürki Moreni hat den Spagat geschafft, Kinder und Karriere unter einen Hut zu bringen. Einfach sei es nicht gewesen, bilanziert die Richterin der Abteilung III, aber es sei nie eine Option gewesen, sich nur für eins von beidem zu entscheiden. Da sie und ihr Mann aus dem Tessin stammen, fehlte ihnen an ihrem Wohnort im Kanton Zürich das familiäre Unterstützungsnetz, was die Situation zusätzlich verkomplizierte. «Ich war darum so auf Arbeit und Familie fokussiert, dass mir weder Zeit noch Energie für eigene Interessen und Hobbys blieben», sagt die 58-Jährige, deren Mädchen heute 20 und 17 Jahre alt sind. Doch der Reihe nach.
Von Lugano über Zürich nach Bern
Von Lebensmittelingenieurin bis Biologin, von Psychologie bis Übersetzen gab es vieles, wofür sich Michela Bürki nach der Matura in Lugano interessierte. Schliesslich entschied sie sich für das Rechtsstudium, weil es ihr viele Wege zu öffnen versprach. Nach dem Studium an der Universität Zürich kehrte sie ins Tessin zurück, um die für die Anwaltsprüfung notwendigen Gerichts- und Anwaltspraktika zu absolvieren und die Prüfung abzulegen. Ein Angebot, danach als Rechtsanwältin zu arbeiten, lehnte sie ab: «Partei zu ergreifen, bereitete mir Mühe.» Stattdessen nahm sie eine Stelle beim Bundesamt für Sozialversicherungen in Bern an und wechselte später zum Beschwerdedienst des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements.
Nach drei Jahren zog es sie zurück in die italienischsprachige Schweiz, wo sie eine Stelle als Gerichtsschreiberin beim kantonalen Versicherungsgericht in Lugano antrat. In dieser Zeit lernte sie ihren späteren Ehemann kennen, der in Zürich arbeitete. Sie wechselte im Jahr 2001 als Gerichtsschreiberin ans Eidgenössische Versicherungsgericht in Luzern; das Paar bezog eine Wohnung in Thalwil. Als im Jahr 2002 das erste Kind zur Welt kam, reduzierten beide ihr Pensum auf 60 Prozent, um sich je zwei Tage pro Woche um das Baby kümmern zu können. «Zusammen mit einem Krippentag klappte das gut, war mit unseren fixen Präsenzzeiten aber sehr anspruchsvoll.»
«Wir haben als Familie sehr gut funktioniert und es war eine ebenso intensive wie erfüllende Zeit.»
Michela Bürki Moreni
Intensive Familienzeit
Sie war deshalb froh, als sie 2003 die Chance bekam, als nebenamtliche Richterin in einem 60-Prozent-Pensum am Bundesgericht tätig zu sein und einen Teil ihrer Arbeit zu Hause zu erledigen. «Ohne diese Flexibilität wäre es wohl bei einem Kind geblieben», sagt sie. So aber kam drei Jahre später die zweite Tochter zur Welt. Ihr Mann hatte sein Erwerbspensum zwischenzeitlich auf 80 Prozent erhöht, weshalb die Kinder zweimal pro Woche die Krippe besuchten. «Wir haben als Familie sehr gut funktioniert und es war eine ebenso intensive wie erfüllende Zeit.» Trotzdem hätte sie sich Grosseltern in der Nähe gewünscht, die im Alltag mal hätten einspringen können. «Man kann das als Paar schon allein stemmen, aber man verzichtet auf vieles.»
Auch beruflich war einiges im Fluss. Die Anzahl italienischsprachiger Fälle am Bundesgericht ging zurück, und so nahm Michela Bürki zusätzlich anwaltliche Beratungsmandate im Tessin an. Gleichzeitig absolvierte sie ein CAS in Mediation an der Berner Fachhochschule. Im Jahr 2014 wurde in Luzern eine 100-Prozent-Stelle als Bundesrichterin frei, für die sie die erforderlichen Qualifikationen mitbrachte. Sie entschied sich gegen eine Kandidatur: «Da die jüngere Tochter erst neun Jahre alt war, wollte ich nicht Vollzeit arbeiten. Zudem hätte die ganze Familie nach Luzern umziehen müssen.» Kurz darauf ergab sich eine neue Chance: Am Bundesverwaltungsgericht wurde eine 60-Prozent-Stelle in italienischer Sprache frei, in der mit Sozialversicherungsrecht befassten Abteilung. Michela Bürki bewarb sich und wurde am 19. März 2014 gewählt. Seit Juli 2014 amtet sie nun als Richterin der Abteilung III und mag ihre Arbeit sehr. Aktuell hilft sie zudem bei Bedarf in den Abteilungen I und IV aus.
Klavier und Kino
Der Start in St. Gallen war indessen nicht einfach. «Es gab enorm viel zu tun», erinnert sie sich. «Ich musste mich an meine neue Rolle und den Alltag fern von zu Hause gewöhnen.» Mittlerweile hat sie eine kleine Wohnung in der Ostschweiz bezogen und fühlt sich hier ebenso zu Hause wie am Zürichsee oder im Tessin. «Nach der Arbeit geniesse ich die Ruhe meiner Wohnung, lese viel, gehe ins Kino oder mache einen Spaziergang», sagt sie. «Auch mein Mann kommt manchmal vorbei, und wir unternehmen Wanderungen in der Region.» Da die Töchter mit ihren 20 und 17 Jahren immer mehr ihre eigenen Wege gehen, hat Michela Bürki nun Zeit und Musse, den eigenen Interessen nachzugehen. So hat sie vor einigen Jahren mit dem Klavierspiel angefangen, und während der Pandemie hat sie das Yoga für sich entdeckt. Sie geniesst die neuen Freiheiten, möchte aber keinen einzigen Moment der vergangenen zwanzig intensiven Berufs- und Familienjahre missen. Im Gegenteil: «Ich würde alles wieder genau gleich machen.»
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