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Dem Dialog verpflichtet
Marianne Ryter, wenn Sie auf Ihre Zeit beim Bundesverwaltungsgericht zurückblicken, was kommt Ihnen als Erstes in den Sinn?
Die vielen guten Menschen, denen ich begegnet bin, und die vielen interessanten Gespräche, die ich führen konnte.
Sie gehören dem Bundesverwaltungsgericht seit seiner Gründung 2007 an. Wie hat es sich in dieser Zeit verändert?
Dass wir nach wie vor ein junges Gericht sind, das sich am Finden und Formen ist, ist zwar immer noch spürbar. Aber im Lauf der Jahre sind wir doch stärker zu einer Einheit, zum Bundesverwaltungsgericht, zusammengewachsen. Das liegt einerseits am gemeinsamen Standort, andererseits aber auch am Wechsel in der Richterschaft, der sich in den letzten fünfzehn Jahren vollzogen hat. Ich habe den Eindruck, dass sich Neugewählte primär als Bundesverwaltungsrichterinnen und -richter sehen und nicht mehr in erster Linie als Mitglieder einer bestimmten Abteilung oder einer ehemaligen Rekurskommission. Erfreulich finde ich auch, dass die unbürokratische abteilungsübergreifende Aushilfe funktioniert: Wer Hilfe braucht, bekommt sie.
Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen für das Gericht?
Eine Herausforderung ist sicher unsere Grösse: Wir sind 74 Richterinnen und Richter, dazu 240 Gerichtsschreibende und über hundert Personen in den Kanzleien und im Generalsekretariat. Dazu kommt, dass viele unserer Mitarbeitenden ihren Lebensmittelpunkt an einem anderen Ort haben. Der BVGer-Geist weht zwar deutlich stärker als früher, ist aber noch nicht sehr beständig.
«Man trägt eine grosse Verantwortung, hat aber nur einen begrenzten Handlungsspielraum. Und man ist auf das konstruktive und lösungsorientierte Mitwirken der am Gericht Tätigen angewiesen.»
Marianne Ryter
Sie haben die Grösse des BVGer erwähnt: Ist ein Gericht mit über 440 Mitarbeitenden überhaupt führbar?
Es ist eine Herausforderung, ein so grosses Gericht zu führen. Das liegt auch an den bestehenden oder je nach Blickwinkel fehlenden Mechanismen, Führungsinstrumenten und Kompetenzen. Natürlich haben die bestehenden Strukturen ihren Grund und ihre Berechtigung: Aufgrund der richterlichen Unabhängigkeit kann ein Gericht nicht gleich geführt werden wie ein Unternehmen. So hat die Gerichtsleitung in erster Linie dafür zu sorgen, der Rechtsprechung ideale Arbeitsbedingungen zu bieten und sie von Administrativem zu entlasten. Aber wenn etwas nicht funktioniert oder gut läuft, dann werden die Grenzen der Führungsmöglichkeiten spürbar. Man trägt eine grosse Verantwortung, hat aber nur einen begrenzten Handlungsspielraum. Und man ist auf das konstruktive und lösungsorientierte Mitwirken der am Gericht Tätigen angewiesen.
Sind fehlende Instrumente und Kompetenzen der Grund dafür, dass Sie als Gerichtspräsidentin vor allem auf den Dialog gesetzt haben?
Nein. Ich bin letztlich überzeugt, dass Führung und Organisationsentwicklung nur über den vertrauensvollen Dialog funktionieren. Deshalb habe ich auf verschiedene Austauschgefässe wie Dialogsitzungen für die Leitungsgremien und Dialogrunden für alle Berufsgruppen ins Leben gerufen. Leider konnten wir Letztere coronabedingt nur einmal durchführen.
Stichwort Corona: Vor allem zu Beginn der Pandemie mussten Sie oft innert kürzester Zeit Entscheide von grosser Tragweite fällen. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Zum Glück musste ich diese Entscheide nicht alleine fällen; ich empfand die Verwaltungskommission sowie die Abteilungspräsidentinnen und -präsidenten als mittragend. Trotzdem war es eine anstrengende Zeit. Als am Anfang noch unklar war, ob wir den Gerichtsbetrieb würden aufrechterhalten können, gingen die Emotionen zum Teil sehr hoch. Zusätzlich beschäftigte mich das Ungleichgewicht am Gericht: Viele konnten von zu Hause aus arbeiten, während andere vor Ort sein mussten. Ich bin froh, dass wir heute wieder entspannter unterwegs sind, auch wenn uns jetzt andere Fragen beschäftigen.
Nämlich welche?
Im Kern geht es darum, wie wir in Zukunft miteinander arbeiten wollen. Denn während die einen grossen Gefallen am Homeoffice gefunden haben, möchten andere am liebsten zum Status quo vor der Pandemie zurückkehren. Nun lässt uns die seit Oktober geltende Richtlinie für das mobile Arbeiten einen grösseren Spielraum, doch sie ist eine Momentaufnahme und wird im Zug der fortschreitenden Digitalisierung weiter anzupassen sein. Die Digitalisierung wird unsere Arbeitswelt fundamental verändern.
Bei Ihrem Amtsantritt als Präsidentin sagten Sie, dass sich das Gericht wegen Drucks von aussen in einem Zustand des labilen Gleichgewichts befinde. Wie ist das heute?
Die Politisierung der Justiz ist leider immer noch ein Thema. Um die Unabhängigkeit der Justiz und ihre institutionelle Autonomie zu wahren, muss unbedingt allen Politisierungsversuchen widerstanden werden – von welcher Seite diese auch kommen. Auch interne Versuche der Politisierung gehören entschieden abgewehrt.
Nun verlassen Sie das BVGer und wechseln ans Bundesgericht. Mit welchen Gefühlen tun Sie dies?
Auch wenn das Bild abgegriffen ist: Mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ich habe immer gern hier gearbeitet, und ich werde viele schöne Erinnerungen mitnehmen. Da ich nicht gern stehenbleibe, freue ich mich aber gleichzeitig auf das Neue. Meine Berufskarriere, die ich mit Lehr- und Wanderjahren am BVGer begonnen habe, wird in einer anderen Organisation mit einer anderen Kultur und anderen Menschen weitergehen. Ich freue mich darauf, künftig nicht mehr so viel Verantwortung zu tragen und wieder mehr Zeit für die Rechtsprechung zu haben.
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