Die Bratwurst als Umzugsargument
Das garstige Wetter erinnere ihn an den Spatenstich anno 2008, sagt Thomas Scheitlin, als er sich in der Caféteria des Gerichts einen Espresso rauslässt, «und trotzdem bin ich sehr gerne wieder hierhergekommen». Vieles ist in diesem Moment schon gesagt. Für Scheitlin, St. Gallens Stadtpräsident von 2007 bis 2020, ist klar, dass die Stadt vom Zuzug des Bundesverwaltungsgerichts profitiert hat. «Das beruht aber auch auf Gegenseitigkeit», fügt er an und erwähnt die hohe Lebensqualität in der Region oder den wertvollen Austausch mit der Universität St. Gallen, welche auch dem Gericht zu Gute kam.
2002, als die Stadt St. Gallen den Zuschlag erhielt, war Scheitlin Präsident der Ortsbürgergemeinde und somit im Bewerbungsprozess nur indirekt beteiligt. Seine Aufgabe war es, der Stadt potentielle Wohnräume für die in die Ostschweiz kommenden Juristen zu präsentieren oder solche zu schaffen. Trotzdem war auch bei ihm der Jubel gross, als sich St. Gallen gegen Basel und Fribourg durchsetzte und als Standort für ein eidgenössisches Gericht ausgewählt wurde. «Die Strahlkraft einer solchen Institution ist über die Kantonsgrenzen hinaus gross. Für uns St. Galler war das damals eine grosse Chance, an die wir viele Erwartungen ketteten», sagt der heute 68-Jährige.
Die Krux mit den Wohnungen nebenan
Nicht alle diese Erwartungen gingen in Erfüllung. Als Scheitlin 2007 als Stadtpräsident das Dossier «BVGer» übernahm, wollte er möglichst viele Mitarbeitende davon begeistern, ihren Wohnort in die Stadt St. Gallen und deren Agglomeration zu verlegen. Mehrfach besuchte er mit einer Delegation der Standortförderungen von Stadt und Kanton das Provisorium in Zollikofen und machte dort aktiv Werbung für den Wohnort Ostschweiz. «Wir haben alle unsere Qualitäten mitgenommen: Die Einbettung zwischen Alpstein und See, den Kulturbereich mit seiner ganzen Vielfältigkeit und nicht zuletzt auch die St. Galler Bratwurst.» Mit diesen Argumenten vermittelte der Stadtpräsident Wohnraum – auch solchen, der extra direkt neben dem Gericht gebaut wurde.
«Es gab viele, die mit grosser Begeisterung in unsere Stadt gezogen sind und bereit waren, hier eine Existenz aufzubauen.»
Thomas Scheitlin
Ganz aufgegangen ist der Plan nicht. Besonders die Wohnungen gleich neben dem Gericht wurden nur vereinzelt von Mitarbeitenden des BVGer belegt. Dennoch habe sich der grosse Aufwand gelohnt. «Es gab viele, die mit grosser Begeisterung in unsere Stadt gezogen sind und bereit waren, hier eine Existenz aufzubauen», sagt Scheitlin. Dass das nicht bei allen funktionieren werde, war ihm von Beginn weg klar und dafür habe er auch Verständnis.
Offen und kompetent
Das Fazit, wenn er auf die Zusammenarbeit mit dem Gericht zurückschaut, fällt dann auch positiv aus. Ab dem vorfreudig erwarteten Umzug nahm er das Gericht als ein für die Ostschweiz bedeutender Arbeitgeber wahr. Eine Ausstrahlung, welche sich mit den Jahren zunehmend verstärkte. «Für mich ist es auch ein Stück Ostschweizer Gericht geworden», fügt Scheitlin an. Auch wenn es von sich aus zurückhaltend und ruhig auftritt, geniesse das Bundesverwaltungsgericht bei der Stadt einen guten Ruf. Besonders die hohe Kompetenz der Mitarbeitenden und die Offenheit gegenüber städtischen Anfragen oder Anlässen im Gericht habe dieses Bild geprägt. Die Frage, ob man sich denn wieder bewerben würde, wird beinahe hinfällig. «Zu 100%», sagt Scheitlin, «und wir würden auch wieder gewinnen!»
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