«Spruchkörperbildung» bezeichnet die Art und Weise, wie die Richtergremien gebildet werden, die über einen Fall urteilen. Am Bundesverwaltungsgericht bestimmt das Geschäftsreglement für das Bundesverwaltungsgericht (VGR, SR 173.320.1), welche Kriterien bei der Zuteilung der Geschäfte an die Richterinnen und Richter berücksichtigt werden müssen.
In der Regel wird in der Besetzung mit drei Richterinnen oder Richtern entschieden. Daneben werden die Verfahren auch einzelrichterlich, gegebenenfalls mit Zustimmung einer Zweitrichterin oder in Fünferbesetzung beurteilt.
Der Spruchkörper wird normalerweise am Anfang eines Verfahrens gebildet. Bei Bedarf können abteilungsübergreifende Spruchkörper gebildet werden. Dies ist etwa der Fall, wenn:
- eine Rechtsfrage die jeweils gemeinsamen Rechtsgebiete der Abteilungen betrifft;
- für eine Rechtsfrage das Fachwissen einer anderen Abteilung notwendig ist;
- Richter und Richterinnen in anderen Abteilungen zur Ausgleichung der Geschäftslast aushelfen.
Die Spruchkörperbildung am Bundesverwaltungsgericht beruht auf zwei Komponenten: einem automatischen und einem manuellen Teil.
Für den automatischen Teil setzt das Gericht eine Software ein, die intern auch «Bandlimat» genannt wird. Der Software hinterlegt sind beispielsweise die Arbeitssprachen der Richterinnen und Richter, ihr Beschäftigungsgrad oder Spezialisierungen.
Wenn die Kriterien aus technischen Gründen nicht in der Fallzuteilungssoftware abgebildet werden können, werden sie manuell berücksichtigt. Dies erfolgt beispielsweise bei konnexen Verfahren (zusammenhängende Verfahren), Ausstandsgründen, Weggängen (z.B. Pensionierungen), kurzfristigen Abwesenheiten oder um Ausgleich der Geschäftslast. Der manuelle Teil ist daher integraler Bestandteil der Spruchkörperbildung. Die Kriterien, ob automatisch oder manuell berücksichtigt, sind objektiv und im Geschäftsreglement festgelegt.
Es kann Konstellationen geben, in denen es notwendig ist, einen Spruchkörper anzupassen – sowohl auf der Position der Instruktionsrichterin oder des Instruktionsrichters als auch auf der Position der Mitrichterin oder des Mitrichters. Eine Anpassung erfolgt stets aus wichtigen sachlichen Gründen, beispielsweise bei unvorhergesehenen Abwesenheiten oder wenn ein Ausstandsgrund erst zu einem späteren Zeitpunkt festgestellt wird. In solchen Fällen gelten die reglementarisch festgelegten Kriterien für die Bildung der Spruchkörper analog.
Die Parteizugehörigkeit der Richterinnen und Richter wird bei der Spruchkörperbildung bewusst nicht berücksichtigt. Sie sind in ihrer rechtsprechenden Tätigkeit unabhängig, nur dem Recht verpflichtet (Art. 191c BV) und keine Parteivertreter. Die Unabhängigkeit ist nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht.
Die Fallzuteilungssoftware ist für das Bundesverwaltungsgericht ein wichtiges und nützliches Hilfsmittel bei der Spruchkörperbildung. Sie dient in erster Linie einem effizienten Geschäftsmanagement. Der Automatisierungsgrad ist weit fortgeschritten. Das Gericht nimmt diesbezüglich eine Vorreiterrolle ein und ist bestrebt, das gesamte System der Spruchkörperbildung ständig weiterzuentwickeln, um das Potenzial einer automatisierten Geschäftsverteilung noch besser auszuschöpfen.
Auch die Geschäftsprüfungskommissionen als Oberaufsichtsbehörde, die Wissenschaft und die Medien interessieren sich für dieses System der Spruchkörperbildung. Entstanden sind bereits Aufsichtsberichte und wissenschaftliche Beiträge, in denen auch Empfehlungen zur Weiterentwicklung formuliert wurden.
Darüber hinaus hat das Gericht Daniela Thurnherr, Professorin an der Universität Basel und nebenamtliche Richterin beauftragt, sein System in juristischer und praktischer Hinsicht kritisch zu analysieren und Empfehlungen für die Weiterentwicklung zu formulieren. Die Rechtsprofessorin hat dazu den Bericht «Spruchkörperbildung durch das Bundesverwaltungsgericht. Überprüfung von Rechtsgrundlagen und Praxis der Spruchkörperbildung am Bundesverwaltungsgericht» verfasst. Sie kommt darin zum Schluss, dass die Spruchkörperbildung am Bundesverwaltungsgericht völkerrechts- und verfassungskonform sowie zweckmässig ist (Medienmitteilung vom 17. Mai 2023 und Bericht von Professorin Daniela Thurnherr).
Nach einer einjährigen Testphase hat das BVGer per 2022 für alle Verfahren mit Eingang ab dem 1. Januar 2022 ein Spruchkörper-Controlling auf Gerichtsebene eingeführt. Hiermit stehen der Verwaltungskommission und den Abteilungspräsidien alle vier Monate eine aktualisierte statistische Übersicht zur Verfügung. Diese bildet die Spruchkörperbildung zu den erledigten Dossiers im laufenden Jahr ab. Die Übersicht zeigt auf, in wie vielen Fällen die Besetzung automatisch oder (teilweise) manuell erfolgte. Weiter kann damit sichergestellt werden, dass die Gründe für Anpassungen lückenlos dokumentiert werden.