Drehscheibe Abteilungskanzlei

In den Abteilungskanzleien laufen die Fäden der bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zusammen. Eine wichtige und nicht immer einfache Rolle kommt den Kanzleileiterinnen zu.

19.12.2024 - Katharina Zürcher

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Die vier Kanzleileiterinnen Elisabeth Dünnenberger, Marina Franchini, Regula Otter und Yukiko Diek sitzen auf dem Vorplatz des Bundesverwaltungsgerichts.
Vier der sechs BVGer-Kanzleileiterinnen: Elisabeth Dünnenberger, Marina Franchini, Regula Otter und Yukiko Diek. (Bild: Daniel Winkler)

Die Aufgaben der Abteilungskanzleien sind vielfältig. Sie bearbeiten die ein- und ausgehende Post, führen die Dossiers, beantworten E-Mails sowie interne und externe Anrufe, verfassen Schreiben, überprüfen und bearbeiten Dokumente, fertigen Verfügungen und Urteile aus und machen diese versandfertig. Die Liste könnte beliebig verlängert werden, wobei sich Aufgaben und Organisation der einzelnen Kanzleien zum Teil unterscheiden. Dies ist in den unterschiedlichen Rechtsgebieten begründet, welche die Abteilungen bearbeiten. So ist die Abteilung I zuständig für Geschäfte aus den Gebieten Staatshaftung und Regress, Bundespersonal und Daten. In der Abteilung II werden Geschäfte aus den Bereichen Wirtschaft, Wettbewerb und Bildung bearbeitet, in der Abteilung III liegen die Geschäftsschwerpunkte bei Sozialversicherungen und öffentlicher Gesundheit. Die Abteilungen IV und V befassen sich mit Geschäften aus dem Gebiet des Asylrechts und die Abteilung VI mit solchen aus dem Ausländer- und Bürgerrecht.

Einblick in den Alltag
Eines ist aber in allen Kanzleien gleich: Die Mitarbeitenden sorgen dafür, dass die Richter/-innen und Gerichtsschreibenden ihre juristische Arbeit effizient erledigen können. Die Kanzleileiterinnen arbeiten einerseits im Tagesgeschäft mit und kümmern sich andererseits um Führungsaufgaben sowie Spezialaufgaben für die Rechtsprechung. Sie pflegen eine enge Zusammenarbeit mit den Abteilungspräsidien, denen sie hierarchisch unterstellt sind, mit den Präsidialsekretären bzw. -sekretärinnen und mit dem Generalsekretariat. Nachfolgend geben fünf von ihnen Einblick in ihren Arbeitsalltag.

«In den Abteilungskanzleien sorgen wir dafür, dass die in der Rechtsprechung tätigen Personen ihre Arbeit effizient erledigen können.»

Yukiko Diek: Die Balance finden

Yukiko Diek, Leiterin der Abteilungskanzlei I, verbringt ihre Freizeit gerne bei kulturellen Veranstaltungen oder am See, wo auch ihr Hund mit von der Partie ist. Im Arbeitsalltag bemüht sie sich, stets allen Parteien gerecht zu werden.

Yukiko Diek, Sie leiten die Kanzlei der Abteilung I seit fünf Jahren. Welches ist die grösste Herausforderung, der Sie begegnen?
Immer allen Parteien gerecht zu werden. Es ist nicht immer einfach, die Balance zwischen den Bedürfnissen des Gerichtspersonals und des Kanzleiteams zu finden. Es gibt viele kurzfristige Anliegen, mit denen wir konfrontiert werden, und nicht immer können wir neben dem Tagesgeschäft allen sofort entsprechen. Wir tun, was wir können, aber manchmal muss ich jemanden auf später vertrösten, um meine Mitarbeitenden zu schützen.

Wie sieht für Sie ein typischer Arbeitstag aus? 
Ich bin um Viertel nach sieben am Gericht, die anderen treffen zwischen halb acht und acht ein. Ich nutze die erste Zeit am Morgen, um in Ruhe Administratives für die Berufsbildung oder die Teamleitung zu erledigen. Anschliessend helfe ich im Tagesgeschäft mit. In der Kanzlei I erfassen wir unsere Dossiers selbst, unter anderem weil bei gewissen Fallkategorien Besonderheiten in Bezug auf die Parteistellung und/oder Beschwerdelegitimation bestehen. Nach dem Postversand am Nachmittag führe ich Besprechungen, widme mich den Lernenden, die ich als Berufsbildnerin betreue, und helfe bei diversen Projekten mit. 

Stichwort Digitalisierung und KI: Wie sehen Sie die Zukunft der Kanzleiarbeit?
Im Moment führt die laufende Digitalisierung zu Mehrarbeit, da noch immer das Papierdossier massgebend ist, aber grundsätzlich sehe ich viel Potenzial darin. Zum Beispiel ist derzeit noch fast kein Homeoffice möglich für Kanzleimitarbeiterinnen unserer Abteilung, aber mit dem digitalen Dossier wird dereinst nichts mehr dagegensprechen, dass auch sie einen Teil ihrer Arbeit zu Hause erledigen können. Für Künstliche Intelligenz bin ich offen: Ich stelle es mir angenehm vor, wenn sie nach unseren Vorgaben zum Beispiel eine Nichteintretensverfügung schreibt – natürlich immer unter der Verantwortung des Richters oder der Richterin.

Marina Franchini: Vielfältige Austausche und Perspektiven

Marina Franchini leitet die Kanzlei der Abteilung II seit einem Jahr. Sie verbringt die Wochenenden mit ihrer Familie im Tessin und liest gern. Am BVGer schätzt sie die Möglichkeit, sich mit Personen mit verschiedenem kulturellem Hintergrund auszutauschen.

Marina Franchini, was mögen Sie an Ihrer Arbeit am meisten?
Was ich am meisten schätze, ist die Möglichkeit, mich mit Menschen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund auszutauschen – sei es in meinem Team, mit den Gerichtsschreibenden, mit den Richterinnen und Richtern oder mit den anderen Fachpersonen des BVGer; eine Vielfalt, die mir die Möglichkeit gibt, neue Perspektiven kennenzulernen. Jeder Austausch ist eine wertvolle Gelegenheit, mich sowohl menschlich als auch beruflich weiterzuentwickeln. Ich betrachte Herausforderungen nicht als ein Hindernis, sondern als eine Chance, meine Problemlösungsfähigkeiten weiterzuentwickeln und ein gesundes Selbstbewusstsein aufrechtzuerhalten.

Als Kanzleileiterin führen Sie ein Team und sind zugleich Ansprechpartnerin der Richterschaft und der Gerichtsschreibenden. Wie bewältigen Sie diese anspruchsvolle Aufgabe?
Die grösste Herausforderung besteht darin, die Anliegen meines Teams, der Richterinnen und Richter und der Gerichtsschreibenden aktiv zu erkennen und zu verstehen und geeignete Lösungen bereitzustellen. Sodann muss eine funktionale Kommunikation sichergestellt werden: Erwartungen, Anweisungen und Rückmeldungen müssen klar formuliert werden, damit ein transparentes Arbeitsumfeld entsteht, in dem sich die Teammitglieder angehört, verstanden und natürlich auch wertgeschätzt fühlen. Ich versuche, die Anforderungen, die die verschiedenen Seiten formulieren, stets richtig zu interpretieren. Dies alles bedingt eine gute Zuhörfähigkeit und auch, dass man nachfragt, wenn etwas unklar ist. In meiner Arbeit kann ich mich auf ein eingespieltes, fähiges Team verlassen, was mir ermöglicht, meine Ziele effizient zu erreichen.

Haben alle Kanzleimitarbeiterinnen die gleichen Aufgaben oder gibt es Spezialisierungen? Nach welchen Kriterien werden die Aufgaben verteilt?
Abgesehen von den verschiedenen sprachlichen Kompetenzen haben alle Mitarbeiterinnen die gleichen Verantwortungen und Aufgaben. Das hat den Vorteil, dass die eingehenden Arbeitsvolumen wirksam aufgenommen werden können und dass die operative Kontinuität auch bei Abwesenheiten oder unvorhergesehenen Ereignissen gewährleistet werden kann. Auf diese Art kann man auf ein vielseitiges Team zählen, das darauf vorbereitet ist, jede Situation und Schwierigkeit zu bewältigen. Die Aufgabenverteilung erfolgt vorrangig nach der Arbeitssprache und natürlich auch nach der aktuellen Arbeitslast und den freien Kapazitäten der einzelnen Mitarbeiterinnen.

Simone Wagner: Reger Austausch

Simone Wagner, Leiterin der Abteilungskanzlei IV, ist in ihrer Freizeit gerne in der Natur unterwegs und findet Erholung beim Yoga und in der Meditation. Am Gericht pflegen sie und ihr Team einen regen Austausch mit vielen verschiedenen Personen.

Simone Wagner, Sie leiten die Kanzlei der Abteilung IV seit Januar 2015. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit in Ihrem Team?
Grundsätzlich können alle alles für alle erledigen. Im Tagesgeschäft arbeiten wir aber in Sprachteams. Da bei uns alle gute Kenntnis einer zweiten Amtssprache haben, können sich die Mitarbeitenden bei hoher Arbeitslast in einem Sprachteam gegenseitig aushelfen und unterstützen. Die Abteilungskanzleien sind primär mit den Gerichtsschreibenden in regem Austausch und seltener mit den Richterinnen und Richtern. Mit anderen Abteilungen haben wir vor allem mit unserer Partnerabteilung V zu tun, die ebenfalls Geschäfte aus dem Asylrecht bearbeitet, aber auch mit der Abteilungskanzlei VI, die uns in den Dublinverfahren unterstützt. Im Generalsekretariat haben die Kanzleimitarbeitenden täglich mit der Zentralen Kanzlei zu tun, aber auch mit den Finanzen, Betrieb und Sicherheit sowie der Informatik.

Was zeichnet in Ihren Augen gute Kanzleimitarbeitende aus und wie einfach oder schwierig ist es, mehrsprachiges Personal zu finden?
Ich hatte bis jetzt Glück. Die letzten Rekrutierungen zeigen allerdings, dass es nicht einfach ist, italienisch- und französischsprachige Mitarbeitende zu finden, die auch gut Deutsch sprechen. Zudem sollten die auf Italienisch und Französisch arbeitenden Kanzleimitarbeitenden dieser Muttersprache sein, da sie auch Urteile und Verfügungen redigieren. Für mich ist es wichtig, dass eine Kanzleimitarbeiterin bzw. ein Kanzleimitarbeiter gut kommunizieren und vernetzt denken kann, ein kameradschaftliches Verhalten aufweist, flexibel ist und dienstleistungsorientiert arbeitet.

Wie viele Mitarbeitende zählt Ihre Kanzlei und welches sind die Hauptarbeiten, die anfallen?
Zurzeit besteht unsere Kanzlei aus acht Kanzleimitarbeitenden, einer Assistenz für das Abteilungspräsidium und der Kanzleileitung. Die Hauptaufgaben der Kanzleimitarbeitenden sind das Bearbeiten der Neueingänge und der eingehenden Post, das Ausfertigen von Verfügungen und Urteilen plus deren Versand, das Erstellen von Verfügungen, das Redigieren der Urteile, das Anonymisieren von Urteilen, der Telefondienst sowie Abklärungen bei der Vorinstanz und den kantonalen Migrationsämtern.

Regula Otter: Richterteams entlasten

Regula Otter, Leiterin der Abteilungskanzlei V, schätzt die Vielfältigkeit ihrer Aufgaben und den guten Kontakt zu den Richterteams. In ihrer Freizeit entspannt sie sich in der Natur und bei einem guten Buch oder Film.

Regula Otter, wie sieht bei Ihnen ein typischer Arbeitstag aus und was fordert Sie zurzeit am meisten heraus?
Jeder Tag ist anders, das ist spannend. Manchmal bin ich mehr mit Führungsaufgaben beschäftigt, nehme an Besprechungen und Sitzungen teil, gleise Abläufe neu auf oder optimiere sie zusammen mit meinem Team; ich kommuniziere, passe Einsatzpläne an, beantworte spezielle Anfragen, bin da für Fragen der Mitarbeitenden und der Richterteams. Und manchmal bin ich stärker im operativen Bereich tätig. Aktuell ist es eine grosse Herausforderung, dass die Richterteams verständlicherweise gerne digital oder zumindest elektronisch arbeiten, um mobil zu sein. Noch sind die Prozesse am Gericht aber nicht digitalisiert. Dies ist für die Kanzlei ein Spagat und bedeutet administrativen Mehraufwand.

Stichwort Digitalisierung und Künstliche Intelligenz: Wie sehen Sie die Zukunft der Kanzleiarbeit?
Ich stelle mir vor, dass wir von den repetitiven, langweiligen Arbeiten entlastet sind. Gewisse administrative Arbeiten werden nicht mehr nötig sein; Versände könnten von den Richterteams dank der Parametrisierung direkt veranlasst werden. Allenfalls haben wir noch Kontrollaufgaben. Diese Entlastung macht möglich, dass wir uns in Richtung Paralegal entwickeln, womit wir mit unseren bereits heute guten Fachkenntnissen die Richterteams der Abteilung V weiterhin entlasten können. 

Wenn eine gute Fee Ihnen sofort einen Wunsch erfüllen würde, welcher wäre es?
Ich wünsche unserer Kanzlei, dass wir ab morgen ein professionell ausgerüstetes Scancenter haben, das alle unsere Posteingänge scannt. Und vielleicht sagt uns die gute Fee auch noch, wie die digitalisierte Zukunft in der Kanzlei aussieht?

Elisabeth Dünnenberger: Lösungen finden

Elisabeth Dünnenberger leitet die Kanzlei der Abteilung VI seit einem Jahr. Sie schätzt es, mit neuen Situationen konfrontiert zu werden. Vor und nach der Arbeit geht sie mit ihrem Hund spazieren, um frische Luft und Energie zu tanken.

Elisabeth Dünnenberger, aus wie vielen Personen besteht Ihr Team und was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit am meisten?
Mein Team besteht zurzeit aus sechs Mitarbeiterinnen und einer Pool-Mitarbeiterin in Ausbildung, also aus insgesamt sieben Personen. Die Mitarbeiterin in Ausbildung bleibt sechs Monate in meinem Team. Sie ist eine von drei Personen, die im Rahmen eines Projekts in den verschiedenen Abteilungskanzleien und in der Zentralen Kanzlei ausgebildet werden. Das Ziel ist, dass diese Mitarbeitenden später genau dort einspringen können, wo dringender Bedarf besteht. Tatsächlich sind die Arbeiten und Verfahren in den verschiedenen Abteilungen oft sehr verschieden. Vor meiner Tätigkeit in der Abteilung VI arbeitete ich in der Abteilung II. Als ich die Abteilung gewechselt habe, war es für mich wie ein Arbeitswechsel. An meiner Arbeit als Kanzleileiterin schätze ich vor allem, mit völlig neuen Situationen konfrontiert zu werden, für die eine Lösung gefunden werden muss. Ausserdem gefällt mir die «detektivische» Seite, die meine Arbeit manchmal hat.

Wie ist die Zusammenarbeit innerhalb Ihres Teams organisiert, mit den anderen Personen Ihrer Abteilung und mit dem ganzen Gericht?
Ich habe ein grossartiges Team, in dem man einander unterstützt. Auch auf Abteilungsebene können wir auf die Unterstützung des Präsidiums zählen und werden unsere Anliegen ernst genommen – auf die Kanzlei wird gehört. Auf der Ebene des ganzen Gerichts spüre ich manchmal etwas mehr Spannungen, jeder pflegt sein Gärtchen, und die Interessen der Kanzleien scheinen zuweilen eher im Hintergrund zu stehen. Wenn jedoch Hilfe benötigt wird und man darum bittet, unterstützt man sich gegenseitig.

Was zeichnet Ihrer Meinung nach eine gute Kanzleimitarbeiterin oder einen guten Kanzleimitarbeiter aus und wie sehen Sie die Zukunft der Kanzleiarbeit?
Eine gute Kanzleimitarbeiterin mag präzises Arbeiten. Sie ist flexibel und offen für Veränderungen. Sie ist IT-affin, denkt logisch und arbeitet in mehreren Sprachen. Ausserdem ist sie sehr resilient. In Zukunft wird sich die Arbeit durch die Digitalisierung und die künstliche Intelligenz weiterentwickeln. Der Kanzlei wird die Arbeit jedoch nicht ausgehen – die Aufgaben werden sich einfach verändern. Zurzeit haben wir fast die doppelte Arbeitsbelastung, als wenn wir nur auf Papier arbeiten würden.

 

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