Durch Zusammenarbeit zu besseren Urteilen

Zur Qualität eines Entscheids tragen laut BVGer-Präsidentin Marianne Ryter verschiedene Faktoren bei. Einer davon ist die Zusammenarbeit im Spruchkörper.

20.01.2021 - Katharina Zürcher

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Portrait Marianne Ryter
Gerichtspräsidentin Marianne Ryter. Foto: Katharina Zürcher

Marianne Ryter, wann ist ein Urteil ein gutes Urteil?

Ein erstes Qualitätsmerkmal ist, dass sich ein Urteil flüssig und nachvollziehbar liest und ein durchgängiger roter Faden erkennbar ist. Das Urteil soll konzis und in schöner Sprache verfasst und das Normenmaterial überzeugend mit der Subsumption verbunden sein. Gewissermassen eine Schicht tiefer ist massgeblich, dass alle relevanten Fragen und vorgebrachten Rügen aufgenommen und beantwortet sind. Geht man noch eine Schicht tiefer, zeigt sich die Qualität der Rechtsprechung und damit eines Urteils auch darin, wie der Entscheid zustande kam, also wie sich die Verfahrensführung sowie die Entscheidfassung im Spruchkörper gestaltete.

Der Prozess der Entscheidfindung ist im Urteil erkennbar?

Meiner Meinung nach wirkt sich auf ein Urteil aus, wie instruiert wurde und ob zwischen Instruktionsrichterin, Gerichtsschreiber, aber auch innerhalb des Spruchkörpers ein konstruktiver Austausch stattfand oder nicht. Ich bin überzeugt, dass aus einer – auch mündlichen – Auseinandersetzung mit umstrittenen Fragen eine überzeugendere und kohärentere Begründung resultiert. Das Verwaltungsrecht ist zwar sehr von Schriftlichkeit geprägt, aber auch hier entstehen im Dialog die besseren Urteile. Entsprechend gibt es an unserem Gericht verschiedene, erfolgreich angewendete Ansätze für mehr Mündlichkeit.

Zum Beispiel?

In den Asylabteilungen etwa werden schwierigere (Alt-)Fälle teilweise beraten, bevor der Entscheidsentwurf geschrieben wird und in Zirkulation geht. Dies scheint sich auch mit Blick auf die Effizienz gut zu bewähren und entkräftet das Argument, wonach mehr Mündlichkeit automatisch zu mehr Aufwand führt. Auf Gesamtgerichtsebene ist ein gemeinsamer Nenner für mehr Mündlichkeit aber nicht einfach zu finden, unter anderem weil dies die instruktionsrichterliche Unabhängigkeit tangiert. Dasselbe gilt für die Arbeitsweise der einzelnen Richterinnen und Richter beim Erledigen der Fälle.

«Wenn sich alle konstruktiv-kritisch mit der eigenen Arbeit auseinandersetzen, wirkt sich das automatisch förderlich auf die Qualität unserer Entscheide aus.»

Marianne Ryter

Welchen Beitrag zu guten Urteilen kann das inzwischen abgeschlossene Projekt «Urteilsredaktion» leisten?

Als erste Massnahme verfasste die Arbeitsgruppe 2019 die «Leitlinie für die Urteilsredaktion». Diese enthält Kriterien für ein gut geschriebenes und logisch aufgebautes Urteil, welches das Verständnis für die Entscheidung und damit die Akzeptanz der Rechtsprechung fördern soll. Darüber hinaus resultiert aus diesem Projekt auch ein verstärkter Austausch der Gerichtsschreibenden. Insgesamt ist es deshalb sicher einer (noch) höheren Qualität der Urteile zuträglich.

Inwiefern sind die Richterinnen und Richter in der Pflicht?

Einerseits sind sie als Führungspersonen gefordert, ihre Gerichtsschreiber/innen anzuleiten und wenn nötig auszubilden. Andererseits können auch sie vom Austausch untereinander profitieren. Ich gehe davon aus, dass alle Mitglieder des Spruchkörpers ein gutes Urteil fällen wollen. Über unterschiedliche Auffassungen muss gesprochen werden, am besten schon vor dem Erarbeiten des Urteilsentwurfs. Wenn sich alle konstruktiv-kritisch mit der eigenen Arbeit auseinandersetzen, wirkt sich das automatisch förderlich auf die Qualität unserer Entscheide aus.

Spricht die Tatsache, dass ein Entscheid nicht weitergezogen wird, automatisch für seine hohe Qualität?

Automatisch sicher nicht, aber es ist doch ein Hinweis darauf, dass die Parteien den Entscheid akzeptieren. Haben sie das Gefühl, dass dieser objektiv ist, dass das Verfahren gut geleitet wurde und sich das Gericht mit ihren Argumenten respektvoll auseinandergesetzt hat, dürften sie den Urteilsspruch eher akzeptieren, auch wenn er nicht ihrem Wunsch entspricht. Denn auch wenn man verständlicherweise dazu neigt, ein Urteil, das die eigene Sichtweise bestätigt, als besser zu empfinden: Recht bekommt in der Regel nur eine Partei, und deshalb ist die Qualität der Rechtsprechung, die sich in der Verfahrensführung und der Urteilsfällung sowie -begründung zeigt, so wichtig.

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