Medienmitteilung zum Urteil E-6713/2019

Triage bei beschleunigten Asylverfahren

Das Bundesverwaltungsgericht heisst die Beschwerde eines Asylsuchenden gut, dessen Verfahren beschleunigt behandelt und entschieden wurde. Das Staatssekretariat für Migration hatte trotz Komplexität des Falles keine Zuweisung ins erweiterte Verfahren vorgenommen, mit der Folge, dass lediglich eine kurze Beschwerdefrist von 7 Arbeitstagen statt der ordentlichen 30 Kalendertage galt.

19.06.2020

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Die am 1. März 2019 in Kraft getretene Änderung des schweizerischen Asylgesetzes bezweckt eine effizientere und beschleunigte Abwicklung der Asylverfahren. Neben dem Dublin-Zuständigkeitsverfahren definierte der Gesetzgeber zwei neue Verfahrenstypen: die Behandlung des Asylgesuchs im beschleunigten Verfahren und die im erweiterten Verfahren. Beide unterscheiden sich im Verfahrensprozedere und insbesondere in der Beschwerdefrist.

 

Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts

Das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) beleuchtet in einem Grundsatzurteil[1] die Verfahrensführung und die Triage des Staatssekretariats für Migration (SEM). Die amtliche Rechtsvertretung hatte im konkreten Fall geltend gemacht, es handle sich vorliegend um ein komplexes Verfahren. Dies zeige sich dadurch, dass das SEM nach der Erstbefragung zwei Anhörungen von jeweils 6 Stunden durchgeführt und den im Umfang überdurchschnittlichen Asylentscheid erst nach 89 Kalendertagen und nicht wie vom Gesetzgeber vorgesehen innerhalb von 29 Kalendertagen gefällt habe. Das SEM hätte eine Zuweisung in das erweiterte Verfahren vornehmen müssen. Durch die falsche Triage und die deshalb zur Anwendung kommende kurze Beschwerdefrist von 7 Arbeitstagen sei das Recht auf Zugang zur wirksamen Beschwerde verletzt worden.

 

Das Gericht folgt dieser Einschätzung. Es stellt fest, dass zwar kein Anspruch der Asylsuchenden auf Behandlung des Asylgesuchs in einem der beiden Verfahrenstypen besteht. Jedoch kann eine Verletzung des Rechts auf wirksame Beschwerde im Sinne von Art. 29a Bundesverfassung und Art. 13 in Verbindung mit Art. 3 EMRK vorliegen, wenn ein Verfahren trotz Komplexität zu Unrecht nicht in das erweiterte Verfahren zugeteilt wird und deshalb die kurze Rechtsmittelfrist anstelle der ordentlichen gilt. Dies war vorliegend der Fall.

 

Falsche Triage durch das SEM

Das SEM hatte umfangreiche Sachverhaltsermittlungen vorgenommen, auch die Begründung der Verfügung fiel sehr ausführlich aus. Zwar sieht das Gesetz vor, dass das SEM im beschleunigten Verfahren die Verfahrensdauer von 29 Tagen um «einige Tage» überschreiten kann. Dieser Spielraum wurde vorliegend jedoch massiv überschritten. Die Ausführungen des SEM, warum keine Zuweisung in das erweiterte Verfahren erfolgte, überzeugten das Gericht nicht. Die Rechtsvertretung hatte bereits im vorinstanzlichen Verfahren auf die Komplexität des Verfahrens und die falsche Triage aufmerksam gemacht. Sie zeigte ausserdem nachvollziehbar auf, dass eine sachgerechte Anfechtung des Entscheids des SEM innerhalb der kurzen Beschwerdefrist nicht möglich war. Das Gericht kann die Auswirkung einer solchermassen falschen Triage, die letztlich in der Anwendung der kurzen gesetzlichen Beschwerdefrist resultiert, nicht heilen. Es hebt somit den Entscheid des SEM auf und weist ihn zur Neubeurteilung im erweiterten Verfahren zurück. Weiter weist das Gericht darauf hin, dass das gesetzgeberische Ziel der Beschleunigung in einem rechtsstaatlich fairen Verfahren nur gewährleistet werden kann, wenn die Vorinstanz die gesetzlich vorgesehene Triage sorgfältig vornimmt.

 

Dieses Urteil ist abschliessend und kann deshalb nicht beim Bundesgericht angefochten werden.

 

 

Informationen zu den Fristen nach neuem Recht

Im beschleunigten Verfahren sollen einfache Fälle innerhalb von 140 Kalendertagen rechtskräftig entschieden und im Falle einer Abweisung vollzogen werden. Das Verfahren wird in den Zentren des Bundes geführt, wobei keine Zuweisung der Asylgesuchstellenden in die Kantone erfolgt. Für die Beschwerde gilt eine kurze Frist von 7 Arbeitstagen. Das BVGer hat über die Beschwerde innerhalb von 20 Arbeitstagen zu entscheiden. Um diesen zeitlichen Vorgaben gerecht zu werden, ist das vorinstanzliche Verfahren gesetzlich streng getaktet und beträgt maximal 29 Kalendertage.

Im erweiterten Verfahren werden Fälle behandelt, die aufgrund ihrer Komplexität nicht innerhalb der kurzen Frist behandelt werden können. Die Asylsuchenden werden einem Kanton zugeiwesen. Sowohl die Beschwerdefrist als auch die Behandlungsfrist des BVGer betragen je 30 Kalendertage. Die Triage erfolgt durch das SEM nach der Anhörung zu den Asylgründen.

 


[1] Dieses Urteil wurde durch die versammelte Richterschaft der Abteilungen IV und V koordiniert und hat über den Einzelfall hinaus für eine Mehrzahl von Verfahren Gültigkeit.