Er blickte hinter den Spiegel
Der gebürtige Jurassier Célien Taillard hat an der Universität Freiburg einen Bachelor in Rechtswissenschaften erlangt. Um seine Deutschkenntnisse zu verbessern, setzte er das Masterstudium an der Universität Bern fort. Zudem flog er ein Semester nach Vancouver, wo er sich vertieft mit dem Völkerrecht befasste. Nach seiner Rückkehr und vor dem Antritt seiner Anwaltsausbildung suchte er eine Erfahrung an einem Gericht.
Zwei Richter statt einer
Er bewirbt sich beim Bundesverwaltungsgericht (BVGer) und wird als Hochschulpraktikant in der Abteilung VI angestellt. Im Gegensatz zu seinen Kolleginnen und Kollegen übt Célien sein Praktikum nicht bei einem Richter, sondern gleich bei zweien aus. Die ersten drei Monate arbeitet er im Team von Gregor Chatton, danach drei Monate bei Yannick Antoniazza und schliesslich wieder zwei Monate unter Gregor Chatton. Dies kommt nicht sehr häufig vor, ermöglicht es aber, wie Célien sagt, «sich an unterschiedlichen Arbeitsweisen zu reiben». Er stellt denn auch fest: «Es gibt innerhalb der einzelnen Abteilungen unterschiedliche Herangehensweisen, nicht nur zwischen Richterinnen und Richtern sondern auch zwischen Gerichtsschreibenden, die sich unterschiedlich organisieren und unterschiedlich schreiben.»
Trotz Corona bestens integriert
Célien Taillard tritt sein Praktikum Anfang Mai 2020 – gleich nach der Aufhebung des Lockdowns – an, und absolviert es vollumfänglich in Präsenzarbeit. Unumwunden gibt er zu, dass die Stimmung schon etwas speziell gewesen sei, doch findet er, er sei zum Glück sehr gut betreut worden: «Wenn ich ein paar Monate früher, mitten im Lockdown, angefangen hätte, wäre es sicher schlimmer gewesen.» Bei Praktikumsbeginn war das Gericht ziemlich leer, belebte sich aber nach und nach und die Mitglieder seines Teams waren sehr präsent.
Der Blick hinter den Spiegel
«Ich war überrascht, dass ich von Anfang an meine eigenen Fälle erhielt und gleich selbst schreiben konnte», berichtet Célien. Er habe nicht erwartet, so stark am Rechtsbetrieb beteiligt zu werden; er hatte sich vielmehr auf eher administrative Aufgaben vorbereitet. Für ihn war es eine grosse Befriedigung, für ein eigenes Dossier zuständig zu sein und es unter der Aufsicht eines zweiten Gerichtsschreibers und des zuständigen Richters abzuwickeln.
«Ich war überrascht, dass ich von Anfang an meine eigenen Fälle erhielt und gleich selbst schreiben konnte.»
Célien Taillard
Für Célien Taillard war es zugegebenermassen eigenartig, hinter den Spiegel zu blicken: «Während des Studiums haben wir viele Gerichtsentscheide gelesen, kannten aber die Prozesse dahinter nicht.» So hat er insbesondere gelernt, welche Aspekte verwaltungsrechtlich relevant sind, welche das BVGer berücksichtigt und welche nicht. Er erwähnt auch, dass er während des Studiums kaum solche Schreibarbeiten leisten musste.
Am anderen Ende der Schweiz
Die geografische Lage des Gerichts könnte zwar manch einen von einer Anstellung am BVGer abschrecken. Doch Célien Taillard erinnert daran, dass ein Praktikum ja zeitlich begrenzt ist. Und das gesellschaftliche Leben sei, gerade unter den Romands, gut entwickelt: «In St. Gallen, am anderen Ende der Schweiz, habe ich mich nie allein gefühlt.» Zudem ist das BVGer auch ein Gericht, das im schweizerischen Rechtssystem einen wichtigen Platz einnimmt. Darum sei es positiv und eine Chance, hier ein Praktikum zu absolvieren. Damit überwiegen für Célien die Vorteile eines Praktikums am BVGer den Nachteil der grossen Distanz zur Westschweiz.
Was macht Célien Taillard heute?
Nach dem Abschluss seines Praktikums hat Célien Taillard die Genfer Anwaltsschule ECAV angetreten. Danach wird er in der Calvin-Stadt ein Anwaltspraktikum absolvieren. Für den angehenden Anwalt hat Genf den Vorteil, dass es hier viele Kanzleien gibt.
Weitere Blogeinträge
Eine erste Berufserfahrung als Hochschulpraktikant
Am BVGer sind jedes Jahr durchschnittlich 24 Hochschulpraktikumsstellen in den Abteilungen und auch im Generalsekretariat besetzt. Quentin Crettol ist Praktikant in der Abteilung II und berichtet von seiner ersten Berufserfahrung am BVGer.
Mehrsprachigkeit braucht die Unterstützung aller
Als Delegierte des Bundes für Mehrsprachigkeit wacht Nicoletta Mariolini über die Sprachenvielfalt in der Schweiz. Sie beobachtet, dass Französisch immer wichtiger wird und Schweizerdeutsch oft eine berufliche Barriere darstellt.