Justizöffentlichkeit dient allen
Benjamin Schindler, wozu braucht es Justizöffentlichkeit?
Justizöffentlichkeit nützt allen. Die Parteien schützt sie vor staatlicher Willkür. Durch ihre Publikation sind Urteile der Kritik von Medien und Fachwelt ausgesetzt, wodurch sich die Gefahr völlig unsachlicher Entscheide reduziert. Das Wissen darum, dass jedes Urteil veröffentlicht wird, dürfte sich zudem positiv auf die Qualität der richterlichen Arbeit auswirken. Die Öffentlichkeit wiederum will wissen, wie Recht gesprochen wird. Dabei geht es darum, ob die Gerichte ihre Arbeit richtig machen, ob sie also zum Beispiel innert angemessener Frist urteilen. Zudem interessiert gerade beim BVGer der Verfahrensausgang oft eine breitere Öffentlichkeit, etwa wenn es um Fluglärm, die Betriebsbewilligung für ein Kernkraftwerk oder eine grundlegende Praxisänderung im Asylbereich geht.
Profitieren auch die Gerichte?
Zweifach: Einerseits ist die Wissenschaft auf eine Urteilspublikation angewiesen, wenn sie die Gerichtspraxis analysierend darstellen will – etwa in einem Kommentar –, oder wenn sie konstruktiv-kritische Anregungen zur Verbesserung einbringen soll. Beides hilft den Gerichten. Andererseits müssen die Gerichte ein Interesse daran haben, dass ihre Arbeit und ihre Urteile von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, denn dies ist für die Akzeptanz der Justiz als Staatsgewalt entscheidend.
«Das Wissen darum, dass jedes Urteil veröffentlicht wird, dürfte sich positiv auf die Qualität der richterlichen Arbeit auswirken.»
Prof. Dr. Benjamin Schindler
Worauf gründet das Justizöffentlichkeitsprinzip?
Art. 30 Abs. 3 BV verlangt, dass «Gerichtsverhandlung und Urteilsverkündigung» öffentlich sind. Ähnliche Anforderungen stellen Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 14 Abs. 1 UNO-Pakt II. Dieser Wortlaut passt nicht wirklich auf die heutige Praxis an schweizerischen Verwaltungsgerichten, da die Verfahren in aller Regel schriftlich sind. So findet gar keine Verhandlung statt, zu welcher die Öffentlichkeit zugelassen werden könnte. Und eine mündliche und öffentliche Urteilsverkündigung dürfte höchst selten sein. Dem Anspruch wird daher nach herrschender Rechtsprechung und Lehre ausreichend Genüge getan, wenn die Gerichte ihre Urteile in anonymisierter Form über das Internet publizieren. Darüber hinaus werden auch am BVGer die Urteile während 30 Tagen «öffentlich» aufgelegt (Art. 42 VGG). In vielen Kantonen ist diese eher antiquierte und in der Praxis völlig bedeutungslose Form der «Publikation» leider die einzige Form der Urteilsöffentlichkeit.
Wie beurteilen Sie die Urteilspublikation des BVGer?
Das BVGer ist in Sachen Internetpublikation seiner Entscheide insofern vorbildlich, als praktisch alle Sachurteile veröffentlicht werden. Da die Urteile auf der Webseite kaum von Privaten gelesen und verstanden werden, spielen die Medien eine enorme Rolle. Aufgrund des Wandels in der Medienlandschaft sind die klassischen Gerichtsberichterstatter, die mit dem nötigen juristischen Sachverstand regelmässig über gerichtliche Verfahren und Urteile berichten, leider eine aussterbende Spezies. Wichtig ist daher, dass die Gerichte die Urteile von sich aus so aufbereiten, dass sie auch von juristischen Laien gut verstanden und rasch in einen Zeitungsbericht überführt werden können.
Weitere Blogeinträge
Transparenz: Die Justiz in den Augen des einfachen Bürgers
Sind die Erwartungen der Medien und der Öffentlichkeit an die Transparenz mit der Diskretion eines Gerichts vereinbar? Bertil Cottier, Honorarprofessor an der Universität Lausanne, beleuchtet einige Verbesserungsansätze.
Kreativer Führungskopf
Tagsüber treibt er digitale Kommunikationsprojekte voran, am Abend zückt er im Musikverein Rebstein den Dirigentenstab. Lukas Würmli liebt den kreativen Rollenwechsel, durch den er nebenher auch Führungserfahrung sammelt.