Teamsache Führung

Weil Führung alle etwas angeht, betrachten Martin Kayser, Julian Beriger und Jonas Wüthrich sie als Teamsache. Ein Gespräch über gute und schlechte Führung und warum sich diese auf die Rechtsprechung auswirkt.

22.08.2022 - Katharina Zürcher

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Portrait Jonas Wüthrich, Martin Kayser und Julian Beriger
Von links nach rechts: Jonas Wüthrich, Martin Kayser und Julian Beriger. Foto: Lukas Würmli

Rund 90 Personen am Bundesverwaltungsgericht bekleiden eine klassische Führungsposition. Doch führen tun alle der gut 440 am Gericht Beschäftigten: Sei es, dass sie als Gerichtsschreibende ihre Fälle führen, sei es, dass sie sich selbst, ihre Vorgesetzten oder Kolleginnen und Kollegen führen. Richter Martin Kayser und die Gerichtsschreiber Julian Beriger und Jonas Wüthrich gehen deshalb sehr bewusst mit dem Thema um. Sie sind sich einig, dass gute Führung möglichst viel Freiraum gewährt, damit Mitarbeitende Führungsqualitäten entwickeln können, die ihnen bei der Erledigung ihrer Arbeit und auch für die zukünftige berufliche Laufbahn helfen.

Was gute Vorgesetzte auszeichnet

Freiräume bedeuten Vertrauen, und Vertrauen ist absolut zentral in der Führung, wie sich in der Pandemiezeit eindrücklich gezeigt hat. Was zeichnet eine gute Chefin, einen guten Chef weiter aus? Ist es die Erfahrung? «Es kann sein, dass man mit mehr Lebenserfahrung mehr Vergleichs- und Anhaltspunkte im Umgang mit schwierigen Situationen hat», antwortet Julian Beriger, «aber das macht einen nicht notwendigerweise zu einer guten Führungsperson.» Laut Jonas Wüthrich spielt auch das Geschlecht nur eine untergeordnete Rolle. «Juristinnen und Juristen haben einen ähnlichen Duktus, ein ähnliches Vokabular, ein ähnliches Führungsverhalten», sagt er. Wichtiger sei Interdisziplinarität und die Kommunikation, die transparent, offen und klar sein müsse.

«Ein guter Chef ist wohlwollend, verfügt aber auch über eine gewisse Strenge und Durchsetzungsfähigkeit.»

Martin Kayser

Wohlwollend und streng

Für Martin Kayser ist ein guter Chef wohlwollend, verfügt aber auch über eine gewisse Strenge und Durchsetzungsfähigkeit. Und er setze die Leute nach ihren Stärken ein. Auch vor Unangenehmem dürfe er nicht zurückschrecken: «Wenn es einmal nicht geigt mit jemandem, bleibt nur die Trennung. Damit schützt man nicht nur sich selbst, sondern auch das Team.» Damit es gar nicht erst soweit kommt, empfiehlt er eine sorgfältige Auswahl des Personals – damit sei die Hälfte der Führungsarbeit gemacht: «Habe ich ins Team und in die Organisation passende Mitarbeitende gefunden, die das Potenzial mitbringen, ihre Arbeit gut zu machen, dann muss ich nur noch die Bedingungen schaffen, damit sie effektiv arbeiten können.» Dazu gehöre auch, «den Schirm aufzuspannen, wenn es von oben regnet».

Narzissmus und Mikromanagement

Gute Führung ist im Idealfall also gar nicht spürbar – sie zeichnet sich durch eine reibungslose Erledigung der Arbeit aus. Knirscht es hingegen im Getriebe, geht das nicht selten auf schlechte Führung zurück. Martin Kayser findet narzisstische Leader – seien sie in der Rolle von Beratern, Kunden, Vorgesetzten oder Kollegen – besonders gefährlich. «Sie können und wollen nicht zuhören und sind dabei gleichzeitig überzeugt, die besten Chefs zu sein.» Julian Beriger findet unsichere Vorgesetzte, die sich in ihrer Führungsrolle sichtlich unwohl fühlen, problematisch: «Durch Mikromanagement verunsichern sie auch ihre Mitarbeitenden, sodass sich am Schluss niemand mehr etwas zutraut und insgesamt ein schlechtes Arbeitsresultat erzielt wird.» Und Jonas Wüthrich bekundet Mühe mit «launischen Vorgesetzten, bei denen man nie weiss, woran man ist» sowie mit solchen, die sich durch fehlende Verlässlichkeit und das Kleinhalten von Mitarbeitenden auszeichnen. «Das führt zu viel Frustration und schadet allen Beteiligten und der Sache.»

Gerichtskommission in der Pflicht

Wie steht es mit der Führung am BVGer? Alle drei betonen die Wichtigkeit des Dialogs und der Auseinandersetzung auch auf Gesamtgerichtsebene. Jonas Wüthrich und Julian Beriger wünschen sich mehr Möglichkeiten, Führung experimentell auszuprobieren und Verantwortung zu übernehmen. Martin Kayser schaut gern von gut führenden Richterkolleginnen und -kollegen ab, beobachtet aber auch jene, denen es nicht so gut gelingt. Er sagt: «Die Gerichtskommission muss bei der Auswahl unbedingt auf das vorhandene Potenzial einer Person achten, gut zu führen.» Das sei fundamental und werde gewaltig unterschätzt, denn: «Wenn jemand nicht führen kann, wirkt sich das aus – im Kollegium, im Team, in der Rechtsprechung.» Gute Führungsqualitäten hingegen nützten allen. Zudem bewirkten sie eine tiefere Fluktuation, indem die Gerichtsschreibenden länger blieben. «Und das ist gerade in einer Expertenorganisation wie dem Bundesverwaltungsgericht von grösster Bedeutung.»

So führen, wie man selbst gern geführt wird – drei Kurzinterviews

Portrait Martin Kayser

Richter Martin Kaiser

«Man muss Menschen mögen»

Martin Kayser, welches ist Ihre Führungsphilosophie?
In der Expertenorganisation BVGer sind meine Gerichtsschreiber die Fachexperten. Meine Rolle ist es, Breite beizutragen, denn ein guter Chef glänzt mehr durch Breite als durch Tiefe. Dazu bürste ich den Fall gegen den Strich, stelle auch vermeintlich dumme Fragen. Zudem muss ich mit mir im Reinen sein, um authentisch und somit gut zu führen.

Haben Sie eine Führungsposition angestrebt?
Ja, denn ich mag Menschen und finde nichts so spannend wie Mitarbeitende. Dabei finde ich die Verantwortung für zwei bis drei Mitarbeiterinnen ideal, weil ich im Alltag auch den Geschützlärm hören will. Zudem bin ich enorm freiheitsliebend.

Kann man Führen lernen?
Es ist am besten, eine Führungsaufgabe zu übernehmen und sie parallel zu reflektieren – mit einer Ausbildung oder einem Coaching. Weil man Führung auch in der Familie, beim Hobby oder in einem Ehrenamt lernt, bringen die meisten Menschen mehr Führungserfahrung mit, als sie denken. Stark an Bedeutung eingebüsst hat dagegen das Militär als einstige Führungsschule der Nation. Führen ist aber auch Selbstfürsorge: Nur wer Verantwortung für sich selbst übernehmen kann, kann auch Verantwortung für ein Ziel, ein Projekt, einen Fall, für Verfahrensparteien oder ein Team übernehmen.

Portrait Julian Beriger

Gerichtschreiber Julian Beriger

«Gemeinsam gescheiter werden»

Julian Beriger, was bedeutet gute Führung für Sie?
Gute Führung auf fachlicher Ebene heisst für mich, gemeinsam gescheiter zu werden. Beim Bearbeiten eines Falles spielt sich der Austausch im Idealfall in Form eines Pingpongs ab: Sehe ich in einem Fall vor lauter Wald die Bäume nicht mehr, schalte ich Martin Kayser ein. Er macht einen Schritt zurück und gibt mir wertvolle Inputs. Dieser Austausch lässt uns gemeinsam weiterkommen und insgesamt bessere Resultate erzielen.

Was kann Führung sonst noch leisten, was nicht?
Führung ist ein empfehlenswertes Tool zur Selbstentwicklung. Verantwortung zu übernehmen und sich selbst dabei zu reflektieren, dient der Persönlichkeitsentwicklung. Man lernt sich selbst dabei von einer neuen Seite kennen. Es ist dabei aber auch wichtig, auf sich selbst zu hören und herauszufinden, wo es einem am wohlsten ist – nicht jeder strebt eine Führungsposition an. Nichts ausrichten kann Führung, wenn die Biochemie zwischen den Beteiligten nicht stimmt.

Welche Führungstätigkeit hat Sie weitergebracht?
Mein Lehrauftrag im öffentlichen Recht an der Universität Zürich. In dessen Rahmen habe ich zwei Gruppen mit rund hundert Studierenden geleitet. Sie durch die Übungsfälle zu führen und von ihnen geschätzt zu werden, war und ist eine Herausforderung, die mich fachlich und persönlich klar weitergebracht hat.

Portrait Jonas Wüthrich

Gerichtschreiber Jonas Wüthrich

«Im ständigen Dialog bleiben»

Jonas Wüthrich, wie werden Sie gerne geführt?
Mit Martin Kayser haben wir einen ausgezeichneten Chef; er bringt uns viel Vertrauen entgegen. Das ist eine schöne Anerkennung, die mich anspornt, weiterhin gute Arbeit zu leisten. Ich finde, man sollte auch jungen Personen Führungsaufgaben zu- und anvertrauen.

An welche Art von Führungsaufgaben denken Sie konkret?
An Koordinations- und Projektmanagement-Tätigkeiten, die ebenfalls Führungsaufgaben sind. Manche Gerichtsschreibende führen auch, indem sie mit viel Freude und Elan Wissensvermittlungsaufgaben übernehmen. Ich selbst engagiere mich unter anderem in der internen Vertrauensstelle. Zusatzaufgaben sind wertvoll, auch weil sie den Austausch über die Teams und Abteilungen hinaus fördern. Führen bedeutet auch, in einem ständigen Dialog zu sein.

Wie führen Sie selbst?
Im Team führe ich von unten nach oben. Dazu versuche ich meinen Chef in die Bearbeitung der Beschwerdeverfahren zu integrieren, insbesondere indem ich ihn von den sich dabei stellenden Rechtsfragen begeistere. Wenn mir dies gelingt, führe ich ihn erfolgreich. Bei meinen Tätigkeiten ausserhalb des Gerichts versuche ich so zu führen, wie ich selbst gern geführt werde: mit viel Vorschussvertrauen und Wertschätzung.

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