Urteile aus dem Automat

Rechtsberatung im Supermarkt? Scheidungskonventionen aus dem Automat? Professor Leo Staub von der HSG gab an einer Veranstaltung am BVGer einen Vorgeschmack auf die disruptiven Veränderungen, die bald auch in den Gerichten Einzug halten werden.

20.03.2020 - Andreas Notter

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Portrait von Professor Leo Staub
Prof. Leo Staub über die Digitalisierung in den Gerichten. Foto: BVGer

Wer 30 Jahre zurückdenkt, wird nostalgisch. Schreibmaschinen prägten den Büroalltag, man telefonierte mit klobigen Apparaten, Zeitungsverlage setzen Bleibuchstaben. Einzig der Telefax gab einen kleinen Vorgeschmack, was irgendwann an modernen Errungenschaften folgen könnte.

Mehr Kapazität für hochwertige Arbeit

Dass wir wiederum vor einer Zeitenwende stehen, zeigte Leo Staub am Bundesverwaltungsgericht eindrücklich auf. Der HSG-Professor referierte im Rahmen einer internen Veranstaltung zum Thema «Digitalisierung im Rechtsmarkt». Für Leo Staub ist absehbar, dass auch bei juristischen Dienstleistungen die repetitiven Aufgaben abnehmen und immer mehr von Maschinen übernommen werden. «Dieser Trend wird alle im Rechtsmarkt betreffen, auch die Gerichte.» Stattdessen würden Kapazitäten frei für hochwertige juristische Arbeit. «Dafür werden wir ja bezahlt – ob von den Mandanten oder von den Steuerzahlern.»

«Könnten Sie sich vorstellen, einmal bei Migros anwaltliche Dienstleistungen einzukaufen?»

Leo Staub

Rechtsberatung im Supermarkt

Für Staub steht fest, dass die Anwaltskanzleien massiv unter Druck kommen werden, weil Rechtsabteilungen von Unternehmen wesentlich kostengünstiger arbeiten. «Hier helfen die neuen Technologien, Kosten zu sparen.» Druck erzeugen aber auch alternative Anbieter von Rechtsdienstleistungen. «Könnten Sie sich vorstellen, einmal bei Migros anwaltliche Dienstleistungen einzukaufen?» Was für uns utopisch klinge, sei in England bereits Realität. So biete eine Supermarkt-Kette Rat in Familienrecht, Erbrecht, Haftpflichtrecht und in weiteren Rechtsgebieten an. Auch Scheidungskonventionen können schon heute am Automat erstellt werden. «Und zwar in juristisch absolut akzeptabler Qualität», so Staub.

Die Konkurrenz trägt kurze Hosen

Treiber dieser Entwicklung seien Legal-Tech-Pioniere «in kurzen Hosen und Flipflops», die hoch automatisiert den ganzen Rechtsmarkt aufmischen. «Die Digitalisierung hat das Potenzial, den Rechtsmarkt ebenso disruptiv zu verändern wie die Druckbranche, die sich in kurzer Zeit vom Bleisatz zur voll digitalisierten Industrie entwickelt hat.»

Wäre es heute schon denkbar, dass ein Computer für eine Asylbeschwerde ein vorgefasstes Urteil ausspuckt? «Durchaus», so Leo Staub. «Und schon in naher Zukunft werden Maschinen aus einer chaotischen Grundlage einen strukturierten Urteilsentwurf vorlegen können.»

Angst um den Job brauche wegen der Digitalisierung niemand zu haben, beruhigte Leo Staub. Computer könnten allenfalls Entwürfe liefern, aber am Schluss müsse das Urteil immer durch einen Menschen gefällt werden. Doch die Arbeit werde sich verändern hin zu hochwertigen juristischen Leistungen, weg von repetitiven Arbeiten, die automatisierbar sind. «Wir sahen Ähnliches schon mit dem aufkommenden E-Mail-Verkehr, der die Arbeit nicht weggenommen, sondern verändert hat.»

«Gerichte sind nicht allein auf der Welt»

Wer darauf setzt, dass alles beim Alten bleibt, werde «mit Sicherheit zu den Verlierern gehören», so die provokative These des HSG-Professors. Gilt das auch für die Gerichte? «Sie sind nicht allein auf der Welt, sondern in enger Interaktion mit Parteien und unterschiedlichen Rechtsdienstleistern – Behörden, Vorinstanzen, Parteien-Vertretern und so weiter», gab Staub zu bedenken. Dies gelte auch aus Arbeitgeber-Perspektive. «Für begabte junge Leute sind die Möglichkeiten der Digitalisierung völlig selbstverständlich. Für sie ist es wenig attraktiv, in einer Umgebung zu arbeiten, die zurückbleibt.»

Wenn die Maschinen die Menschen überholen

Was nach der Digitalisierung komme, wollte eine Zuhörerin wissen. «Ich habe keine Ahnung», so die ehrliche Antwort von Leo Staub. «Wenn wir nicht mehr richtig verstehen, wie Maschinen durch die Veränderung und Nutzung der eigenen Algorithmen zu Ergebnissen kommen, dann könnte dies zu einer Überlegenheit der künstlichen Intelligenz führen.» Selbst einzelne Chefs der grossen Tech-Firmen wie Microsoft oder Tesla fordern deshalb, den Markt für künstliche Intelligenz zu regulieren. «Wenn wir das nicht tun, gehen wir unter Umständen ein Risiko ein, von dem wir nicht wissen, wohin es uns führt.» 

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